Freude und Enttäuschung können nirgendwo so unmittelbar zusammenkommen wie im Sport. Diese Erfahrung musste – und durfte – das U16-Mädchen-Team des SSV Esslingen am vergangenen Wochenende in geradezu dramatischer Form machen: Bei der Deutschen Pokalmeisterschaft des DSV in ihrer Altersklasse am Wochenende auf der Neckarinsel ging die Mannschaft nach einer starken Leistung über alle drei Turniertage hinweg in der knappsten überhaupt denkbaren Weise am bronzenen Medaillenrang vorbei, der eine Sensation gewesen wäre. Am Ende fehlte sage und schreibe ein Tor! So wurde es der im Sport traditionell besonders undankbare vierte Platz vor der SpVg Laatzen und hinter dem SV BW Bochum auf Platz 3, dem SV Bayer Uerdingen 08 auf Platz 2 und dem SC Chemnitz, dem U15-Double-Sieger der vergangenen Saison und nun – aufgrund der Altersstufenreform – ersten Deutschen Pokalmeister in der weiblichen U16 überhaupt. Den Mädels aus Sachsen ein herzlicher Glückwunsch zum zweifelsfrei verdienten Titel!
Allein die Tatsache, dass in diesem Jahr zum DSV-Pokal, der vor zwei Jahren noch mangels Teams ausfallen musste, fünf Mannschaften gemeldet hatten, ist ein schönes Zeichen für den strukturell unterentwickelten deutschen Mädchen-Wasserball und versprach ein wahres Fest für die weibliche Variante der Sportart an diesem (fast durchgängig) sonnigen Wochenende: Immerhin bedeutete sie, dass es erstmals in dieser Form zehn Spiele Mädchen-Wasserball auf höchstem nationalen Niveau in Esslingen zu sehen gab, weswegen es sich Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger nicht nehmen ließ, die Schirmherrschaft für dieses ganz besondere Event zu übernehmen. Mit berechtigtem Stolz stellte er in seinem Grußwort im Turnierheft fest: „Der SSV Esslingen vertritt derzeit allein ganz Süddeutschland im weiblichen Wasserball auf der Ebene nationaler Jugendturniere unterhalb der U18“. Und auch für die Verantwortlichen im Verein galt allein schon die Teilnahme an diesem, neben der Deutschen Meisterschaft im Herbst wichtigsten nationalen Turnier im Mädchen-Wasserball der Altersklasse als Erfolg. Erhofft war, dass das junge Esslinger Team an der einen oder anderen Stelle eine Spitze gegen die etablierten Teams setzen kann und couragiert zeigt, dass hier Respektables im Entstehen ist. Dass es dann ganz anders kam und Trainerin Iris Schneider mit ihren Mädchen am Ende des Turniers zumindest tabellarisch sogar als Favorit ins „Kleine Finale“ um Platz 3 gehen würde, hatte wohl kaum jemand erwartet.
Am Freitagnachmittag war dank zahlreicher Helfer pünktlich alles bereit und konnte Turnierleiter Manfred Vater den Startschuss für den Wettbewerb geben, der mit der Partie Laatzen gegen Bochum eröffnet wurde. Das Spiel zeigte gleich einmal, wie nahe einige der Mannschaften vom Leistungsniveau her beieinander sind und versprach einen spannenden Turnierverlauf: Mit einem 4:4-Unentschieden endete dieses Eröffnungsspiel. Im zweiten Spiel mussten dann erstmals die Esslinger Mädchen ran und es ging direkt gegen den übermächtigen Gegner aus Chemnitz. Wer aber erwartet hat, dass die SSVE-Mädels ein solches Spiel, dessen Ausgang gewiss erscheint, leichtfertig aus der Hand geben würden, wurde zunächst einmal eines Besseren belehrt: Nach dem ersten Gegentreffer, den erst nach 4,5 Minuten (!) die spätere Torschützenkönigin Nicole Vunder erzielte, gelang dem SSVE bald schon der Ausgleich durch einen Treffer der Kapitänin Lina Roth. Vor allen Dingen aber zeigten die Esslingerinnen eine überragende Verteidigungsleistung, die die routinierten und schnellen Angriffe der Chemnitzer Mannschaft, die von Nationaltrainerin Anja Skibba geleitet wird, immer wieder abfangen konnten. Und so endete die erste Viertelzeit nach einem weiteren Esslinger Treffer durch Maria Patsiavouridou mit einem denkbar knappen Chemnitzer Vorsprung von 3 zu 2 Toren. Dass sich dies nicht über die lange Strecke von vier Mal acht Minuten würde halten lassen, war wohl jedem klar. Spätestens in der zweiten Halbzeit machte sich die enorme Differenz in taktischer Sicherheit, vor allen Dingen aber auch in Kondition und Kraft bemerkbar, so dass das Spiel – das gegen Ende durch einen kurzen, aber extrem heftigen Regenschauer, bei dem die Spielerinnen im Wasser zeitweise weder die Hand vor Augen noch den Ball in der Luft erkennen konnten etwas kurios verlief – mit einem verdient klaren 19:4-Sieg für Chemnitz endete.
Am Samstagmorgen besiegte im NRW-Derby der SV Bayer Uerdingen den SV BW Bochum mit 11:7, bevor der SSV Esslingen gegen die SpVg Laatzen ins Wasser ging, die als Zusammenschluss von Spielerinnen aus Laatzen und solchen aus Hamburg antrat. Wie schon am Vorabend war das heimische Publikum zahlreich erschienen, um die Esslinger Mädels von der Tribüne aus mit Gesängen, Trommelrhythmen und Anfeuerungen zu unterstützen – und der Krimi, der sich in dieser Partie abspielte, machte das auch mehr als nötig: Zum ersten Mal in diesem Turnier – und es sollte nicht das letzte Mal bleiben – zeigte das junge Team (was die Zeit des Bestehens und was den Altersdurchschnitt angeht), dass es „auf Augenhöhe“ mit einigen der stärksten deutschen Teams angekommen ist. In einem hochkonzentrierten Kampf ließen die Esslinger Spielerinnen zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran aufkommen, dass sie gewillt waren, ihren Fans einen Sieg zu bieten. Allerdings hatten die Mädels aus Laatzen ganz offensichtlich den selben Plan und so stand es am Ende des ersten Viertels 1:1, zur Halbzeit 2:2. Auch hier zeigt allein schon die ungewöhnlich geringe Zahl von Gegentoren, dass die Mannschaft des SSV Esslingen defensiv auf höchstem Niveau zu spielen in der Lage ist. Offensiv musste Schneider ihre Mannschaft, der hier offenbar ihr Potenzial selbst noch gar nicht immer bewusst ist, immer wieder zu mehr Mut und Entschlossenheit antreiben. Zahlreiche Torchancen wurden hier liegengelassen, mit deren Nutzung man sich früh einen Sieg hätte sichern können. So blieb es spannend, wer den längere Atem hat, als es nach zwei Treffern von Lina Roth und je einem von Maria Patsiavouridou und Maxima Kleisch mit einem 4:3 ins letzte Viertel ging. Dort gelang schnell das 5:3, bevor es ein später Gegentreffer der Laatzener noch einmal richtig spannend machte. Aber der Sieg gelang dann tatsächlich doch noch: Mit 5:4 sicherte sich der SSVE in dieser Partie die wertvollen Punkte.
Nach einem deutlichen Sieg des SC Chemnitz gegen den SV BW Bochum folgte am Nachmittag für die Esslinger Mädchen dann noch der wenig dankbare Einsatz gegen den erwartungsgemäß starken SV Bayer Uerdingen. Auch hier zeigten die Esslingerinnen immer wieder gute Ansätze vor allen Dingen in der Verteidigung. Dabei spielte – wie ausnahmslos im ganzen Turnier – die SSVE-Torhüterin Katharina Moormann eine herausragende Rolle. Nicht nur mit der einen oder anderen Glanzparade, sondern vor allen Dingen auch mit ihrer enormen Wachsamkeit und der intelligenten aktiven Spielweise darf man wohl sagen, dass sie sich in diesem Turnier endgültig als Torhüterin auf dem nationalen Spitzenniveau ihrer Altersklasse ausgewiesen hat. So manche dankbare Geste ihrer Mannschaftskameradinnen ging in Richtung der Keeperin, wenn sie einmal mehr ein sicher geglaubtes Tor doch noch verhindern konnte. Am Ende genügten die beiden Treffer von Maxima Kleisch und der je eine Treffer von Lina Roth, Maria Patsiavouridou, Georgia Sopiadou und Ida Wellensiek doch nicht, die erwartete hohe Niederlage von 6:20 zu verhindern.
In der letzten Begegnung des zweiten Turniertags unterlag Laatzen dem SC Chemnitz deutlich.
Somit bot der Spielplan am Sonntag zwei echte Finalspiele, wobei zunächst das „Kleine Finale“ um Platz 3 zwischen dem SSV Esslingen und dem SV BW Bochum anstand. Und so mancher musste zwei Mal hinschauen, um zu glauben, dass die Tabelle zu diesem Zeitpunkt sogar für den SSV Esslingen sprach, dem durch den Sieg über Laatzen ein Unentschieden in dieser Partie zum Erlangen des Bronzerangs gereicht hätte. Und mit dieser Chance war es den Mädchen vom SSVE ernst – auch wenn sie sich aus den zahlreichen Spielen gegen die Bochumerinnen in NRW-Runde, Pokal und Meisterschaft aus den letzten anderthalb Jahren auch im Klaren darüber waren, dass der Tabelleneindruck trügt und dass Bochum mit seiner langjährigen umfangreichen Mädchenarbeit eine ausgesprochen schlagkräftige Truppe geformt hat, die nicht minder entschlossen sein würde, sich das Edelmetall zu sichern. Beste Voraussetzungen für ein spannendes Match, in das die Esslingerinnen wiederum mit einem leichten Heimvorteil durch die fantastische Unterstützung von den – trotz der Spielzeit am Sonntagmorgen! – gut gefüllten Rängen gingen. Und die beiden Teams hielten, was versprochen war und zum zweiten Mal konnte und musste man das Wort vom Spiel „auf Augenhöhe“ bemühen. In einer erneut vor allen Dingen von starken Verteidigungsleistungen bei zahlreichen liegengelassenen Chancen auf beiden Seiten geprägten Partie stand es nach dem ersten Viertel noch 0:0. Zu Beginn des zweiten Viertels legten die Bochumerinnen schnell mit 0:1 vor, bevor Maxima Kleisch wiederum der Ausgleich gelang. Zur Erinnerung: Damit war Esslingen zu diesem Zeitpunkt des Spiels wieder auf dem Medaillenrang!
Zur Halbzeit lag man dann aber wieder mit einem Tor (1:2) zurück und sicherlich hätten manche, die das SSVE-Team in den letzten anderthalb Jahre erlebt haben, erwartet, dass es einen Abnutzungskampf auf diesem Niveau in der zweiten Halbzeit nicht würde durchhalten können. Weit gefehlt: In einem steten Wechsel von – weiterhin seltenen – Treffern (für Esslingen zwei Mal durch Elena Ludwig, einmal durch Georgia Sopiadou) blieben die SSVE-Mädels dran, bis sie schließlich knapp drei Minuten vor Schluss doch erstmals mit zwei Toren Differenz ins Hintertreffen gerieten. Aber auch das war nicht der Moment zum Aufgeben für Schneiders Team und so setzte 18 Sekunden vor Schluss die jüngste Spielerin des ganzen Turniers (und Kapitänin des derzeit in der Mixed-BW-Runde überaus erfolgreichen reinen U12-Mädchenteams), Ioanna Petiki (Jg. 2006) mit ihrem Anschlusstreffer zum 5:6 geradezu symbolhaft ein deutliches Zeichen an den deutschen Mädchenwasserball: Aus Esslingen ist noch einiges zu erwarten in den nächsten Jahren.
Auch das letzte Spiel zwischen Uerdingen und Chemnitz, das zu einem echten Finale um den Titel vor ebenfalls zahlreichem Publikum wurde, gestaltete sich überaus spannend. Nach einem 6:6 zur Halbzeit spielte dann der SC Chemnitz in der zweiten Hälfte aber doch seine ganze Überlegenheit aus und sicherte sich schließlich mit einem klaren Sieg den Titel.
Fazit? Erstens: Es gibt derzeit Teams im weiblichen deutschen Jugendwasserball, die dem Esslinger Team noch deutlich, mindestens im Falle des SC Chemnitz um Klassen überlegen sind. Es gibt noch viel zu tun. Zweitens: Dem SSV Esslingen ist es in nur anderthalb Jahren gelungen, ein U16-Team zu formen, das alle Skeptiker spätestens jetzt endgültig verstummen lassen muss, die sich nicht vorstellen konnten, dass man im Kreise der etablierten Vereine in naher Zukunft eine Rolle würde spielen können. Es spricht nicht zuletzt für den Sportsgeist der Verantwortlichen der anderen Vereine im Wettkampf und sogar einiger ihrer Spielerinnen, wie oft dieser Erfolg am vergangen Wochenende der Mannschaft und ihrer Trainerin Iris Schneider gegenüber Anerkennung von allen Beteiligten fand. Und drittens: Das Turnier war ein Fest für den ganzen SSVE, weil der Erfolg viele Mütter und Väter hat: Ein Jugendtrainerteam im Verein, das trotz ohnehin schon enormer Belastung mit den verschiedenen erfolgreichen Mixed- und Jungsmannschaften des SSVE auf vielfache Weise auch die Entwicklung des Mädchen-Teams unterstützt hat mit Rat, Trainingseinheiten, Coachingaufgaben, wo Not am Mann war, und nicht zuletzt mit ihren guten Kontakten zu den Jugendtrainern umliegender Vereine, die wiederum mit einigen ihrer Mädchen dieses „Regioteam“ des SSV Esslingen überhaupt erst möglich gemacht haben; dem Vorstand, der das durchaus gewagte „Projekt“ – als das der Mädchenwasserball in Esslingen spätestens seit dem vergangen Wochenende nicht mehr zu bezeichnen ist – von Anfang an rückhaltlos unterstützt und an die Mädchen geglaubt hat; die zahllosen Helfer und Helferinnen, die an diesem Wochenende Aufgaben übernommen haben (erwähnt seien stellvertretend die zehn (!) Freiwilligen im Kampfgericht und namentlich der wie immer nimmermüde Allrounder Kosta Petikis) und all die vielen, die darüber hinaus immer wieder ihre Hilfe angeboten haben; und natürlich die Mitglieder des SSV Esslingen, die einmal mehr bewiesen haben, wie sehr zu ihrem Selbstverständnis die Förderung gerade des Jugendwasserballs gehört, indem sie nun erstmals auch für ein weibliches Jugendturnier über drei Tage eines sommerlichen Wochenendes immer wieder auf Beckenfläche verzichtet haben. Die Organisatoren des Turniers durften – völlig unverdient – an diesem Wochenende immer wieder Komplimente für unsere wunderbare Vereinsanlage und den tollen Zustand, in dem sie sich befindet, in Empfang nehmen, die hiermit an diejenigen weitergebenen seien, die sich dafür so zeitintensiv einsetzen. Und gerade dadurch, wie viele sportlich aktive und andere Vereinsmitglieder sich bei den Spielen eingefunden haben, um dieses ganz besondere Team zu unterstützen, hat sich der SSV Esslingen einmal mehr als hervorragender Gastgeber erwiesen.
Das eigentliche Kompliment aber gehört – natürlich – dem Team: Wer Vergleiche ziehen will, muss immer bedenken, dass die Führungsjahrgänge dieser U16 zu keinem Zeitpunkt das selbe Ausbildungsangebot erhalten haben wie ihre talentierten männlichen Jahrgangsgenossen und dass die ersten Früchte einer gezielten Förderung von Mädchen erst in den Jahrgängen der U14 und jünger allmählich sichtbar werden . Darüber gilt es nicht zu klagen, im Gegenteil: Dass der SSV Esslingen hier, mit dem Grußwort von Carola Orszulik gesprochen, nun auf diesem Weg „einfach losgegangen“ ist und dabei so schnell zu Erfolgen kommt, ist in dieser Form in Deutschland vermutlich einzigartig. Der Weg dorthin, wohin es der Esslinger Mächenwasserball angesichts der außergewöhnlichen Qualität der hiesigen Jugendarbeit in den kommenden Jahren schaffen könnte, ist noch weit. Aber ein solcher Auftritt, wie ihn Iris Schneider und ihre Mannschaft am Wochenende dem heimischen Publikum geboten haben, verlangt auch einmal danach, den Blick zurück auf das bereits zurückgelegte Wegstück zu richten und den Hut zu ziehen vor den Mädels. Der starke Applaus nach dem Abpfiff des Kleinen Finales, zu dem sich nicht zuletzt auch Spieler aus allen Mannschaften des Vereins von der U10 bis zur DWL im Publikum eingefunden hatten, hat genau das getan.
Dass im Team selbst Tränen flossen bei der einen oder anderen Spielerin, die am Ende ihrer Kräfte und so knapp an der Sensation vorbei gegangen aus dem Wasser stieg, ist verständlich und zeigt nur, wie ernst es die Mannschaft meint. Und schnell wich die Enttäuschung dann auch einem klaren Bekenntnis zum „Jetzt erst recht!“: Im Herbst steht die Deutsche Meisterschaft an.
Für den SSV Esslingen im Einsatz:
Hintere Reihe von links: Maria Patsiavouridou, Lea Haidacher, Lara Schneider, Lara Sardella, Maxima Kleisch, Georgia Sopiadou, Katharina Moormann (TW), Joanna Dovridis, Lina Roth (K)
Vordere Reihe von links: Elena Ludwig, Ioanna Petiki, Ida Wellensiek, Shiva Orszulik, Danielle Kölmel, Leonie Schneider, Kinga Katona
Trainerin (hinten rechts): Iris Schneider