SSVE-Schiedsrichter in London im Einsatz
Der SSV Esslingen hat einen Olympiateilnehmer, obwohl sich die deutsche Wasserballnationalmannschaft nicht für London qualifizieren konnte: Uli Spiegel reist als neutraler Schiedsrichter zu den olympischen Sommerspielen in die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs und krönt damit eine beeindruckende Karriere.
© Rudel Sportpressefoto
Es ist allgemein bekannt, dass es für Sportler das größte zu erreichende Ziel ist, einmal an OIympischen Spielen teilzunehmen. Es gibt aber noch eine andere Personengruppe, für die das auch zutrifft: die Kampf- und Schiedsrichter. Auch die Unparteiischen sind im Wettbewerb untereinander, denn nur die besten qualifizieren sich für höhere Aufgaben. Und auch hier sind die Olympischen Spiele das Maß aller Dinge. Uli Spiegel aus Esslingen hat dieses Ziel erreicht und wird in London als Schiedsrichter beim olympischen Wasserballturnier am Start sein.
Der 39jährige begann seine Schiedsrichterkarriere vor nicht ganz 20 Jahren. 1997 war er bereits in der Wasserball-Bundesliga im Einsatz, 2001 leitete er die entscheidende Finalpartie um die Deutsche Meisterschaft zwischen WF Spandau 04 Berlin und WASPO Hannover. Ein Jahr später dann der erste internationale Einsatz bei einem 4-Nationen-Turnier in Heilbronn. Vor sechs Jahren erfolgte der erste Einsatz bei einer Europameisterschaft, 2009 leitete er schließlich Spiele bei den Weltmeisterschaften in Rom. Und nun also Olympia. Kurz vor seiner Abreise nach London stand uns der Vater zweier Söhne und Geschäftsführer eines Fachbetriebes für Elektrotechnik Rede und Antwort.
Frage: Der Traum von Olympia schien ja nach der verpassten Qualifikation der Wasserball-Nationalmannschaft schon ausgeträumt. Wie kam es jetzt doch noch zu der Nominierung?
Uli Spiegel: „Zunächst war ich nominiert als mannschaftsbegleitender Schiedsrichter. Nachdem sich leider weder die Frauen noch die Männer qualifizieren konnten, war meine Teilnahme in weite Ferne gerückt. Mitte April wurde ich dann als Nachrücker als neutraler Schiedsrichter nachnomminiert. Ich musste noch am selben Tag zusagen. Doch diese Frage war schnell entschieden.“
Frage: Wissen Sie schon, welche Spiele Sie leiten werden und mit wem?
Uli Spiegel: „Die Ansetzungen werden erst am Abend vor den Spielen den 24 Schiedsrichtern bekannt gegeben. Gespanne wie im Fußball bzw. Paare wie im Handball gibt es nicht.“
Frage: Ist das ein Problem, dass man immer mit verschiedenen Partnern pfeifen muss?
Uli Spiegel: „Das muss man differenziert betrachten. Die europäischen Kollegen kennt man von verschiedenen gemeinsamen Veranstaltungen. Aber auch den Stil der meisten Kollegen kennt man aufgrund ihrer Herkunft: so wird beispielsweise in Südosteuropa sehr auf den Spielfluss geachtet, während zum Beispiel in Russland eine sehr kampfbetonte Linie gepfiffen wird. Dagegen wiederum kennt man aus den USA die Kategorie „Clear Water“, also ein sehr sauberes Spiel. Allerdings gilt für alle die oberste Regel des Wasserball: die Vorteilsregel. Dafür braucht man viel Fingerspitzengefühl.“
Frage: „Anders gefragt: Gibt es Kollegen, mit denen Sie besonders gerne am Beckenrand stehen?
Uli Spiegel: „Natürlich gibt es Kollegen, mit denen man besonders gerne gemeinsam pfeift, worauf man sich regelrecht freut. Jetzt bei den Olympischen Spielen gibt es auch sehr viele erfahrene Schiedsrichter, die bereits ihre zweite oder dritte Olympiade pfeifen. Das sind richtige Respektspersonen, auch die Spieler schätzen diese Kollegen sehr. Darauf freue ich mich schon.
Frage: Was würden Sie sagen, welchen Stil Sie selbst bevorzugen?
Uli Spiegel: „Ich denke, ich bin eher ein Vertreter des sauberen Wasserballs mit Technik und Kampf. Wichtig ist mir, den Vorteil für eine gelungene Situation gewähren zu lassen.“
Frage: Welche Vorstellungen bzw. welche Erwartungen haben Sie an die Spiele in London?
Uli Spiegel: „Ich möchte kulturell einiges erleben, zumal ich noch nie in London war. Ich will mir die Zeit nehmen, Land und Leute kennenzulernen, etwas von der Stadt erleben und erfahren, was die Engländer über uns denken. Ich denke da an so eindrucksvolle Erlebnisse auf früheren Reisen zurück, wie beispielsweise die Papstaudienz während der WM 2009 in seiner Sommerresidenz oder an den Besuch der Gedenkstätte der Schlacht um Stalingrad, dem heutigen Wolgograd.“
Frage: Am Tage des Wasserballfinales in London werden Sie 40. Welche sportlichen Erwartungen haben Sie?
Uli Spiegel: „Ich fahre sicher nicht mit der Erwartung dahin, das Finale zu erreichen. Ich möchte gute Leistungen bringen. Wenn das klappt, dann bekommt man automatisch neue Chancen. Ach, es ist einfach toll, gemeinsam mit den besten Schiedsrichterkollegen der Welt die besten Spieler der Welt zu pfeifen. Die Erwartungen an uns Schiedsrichter sind hoch. Das ist auch zu Recht so, schließlich sind fast alle Spieler Profis, die auch professionelle Schiedsrichterleistungen erwarten dürfen. Allerdings sind wir Schiedsrichter nur Amateure…“
Frage: Ist der Druck sehr hoch?
Uli Spiegel: „Natürlich verspürt man einen gewissen Druck, aber man muss lernen, damit umzugehen. Vor einem Spiel muss man vieles ausblenden und sich konzentrieren. Es ist wichtig, nach außen ruhig zu wirken…auch wenn man innerlich kocht.“
Frage: Was glauben Sie ist Ihr Geheimnis, dass Sie es bis zu den Olympischen Spielen geschafft haben?
Uli Spiegel: „Als Sportler habe ich früh erkannt, es nicht so weit zu bringen. Wegen meiner Ausbildung konnte ich es schließlich nicht mehr regelmäßig und vor allem rechtzeitig ins Training schaffen. Der damalige Schiedsrichter-Obmann von Baden-Württemberg animierte mich dazu, anstelle Trainer zu werden, ins Schiedsrichterwesen einzusteigen. Ich wurde damals toll begleitet und gefördert. Sehr gefördert. Zu nennen sind hier vor allem Karl Grünenthal und Jörg Wörner.“
Frage: Wie bekommen Sie das alles zeitlich auf die Reihe? Woher nehmen Sie die Energie?
Uli Spiegel (lacht): „Das frage ich mich auch oft. Aber im Ernst: der Kern ist meine Familie. Natürlich gibt es Diskussionen über den Zeitaufwand, den ich aufbringe für die Schiedsrichterei, das Ziel Olympia war aber immer klar. Das Grundverständnis ist da – und die Familie ist jetzt sehr stolz darauf, dass ich in London dabei sein darf. Mit einem guten Zeitmanagement kann man vieles planen und organisieren. Dasselbe gilt für das Geschäft. Ich bin sehr froh, meinen Bruder Reiner als Partner zu haben, sonst wäre das alles nicht möglich. Mein modernes mobiles Office – Handy, Laptop und iPad – sind immer dabei und werden auch genutzt, auch so kann ich vieles unterwegs organisieren.“
Frage: Kommen wir noch einmal zur „Schiedsrichterei“ im Allgemeinen: man könnte den Eindruck gewinnen, dass im Wasserball der Schiedsrichter immer Thema ist?
Uli Spiegel: „Natürlich wird immer insbesondere über schlechte Leistungen gesprochen. Und die gibt es natürlich auch, das weiß ich nicht zuletzt aus meiner Arbeit als Schiedsrichterobmann. Da könnte ich ein Buch drüber schreiben. Wasserball ist eine sehr schnelle Sportart und es gibt immer verschiedene Blickwinkel. Schiedsrichter beim Wasserball sind sehr maßgebend, einfach aufgrund der zu treffenden Regelauslegung. Die Entscheidungen müssen schnell fallen und wichtig ist es, eine Linie im Spiel zu halten. Hatte ich eine schlechte Leistung, dann beschäftigt mich das sehr und ich gehe dann auch keiner Diskussion aus dem Weg, solange es nicht unter die Gürtellinie geht.“
© O. Winter